Sie gehören zur Vorweihnachtszeit wie der Einkaufsstress, das Plätzchenbacken und die Gänsekeule: die Weihnachtsreden. Geliebt und gehasst, aber unverzichtbar.
Unverzichtbar, weil die Rede des Gastgebers oder Gastgeberin den Ton der gesamten Veranstaltung setzt: Sie nennt die Erfolge des zuendegehenden Jahres, macht die Zuhörer:innen zu einer Gemeinschaft und endet mit besinnlichen Worten für die kommenden Feiertage. Applaus, das Büffet ist eröffnet, die Sause kann beginnen.
Aber vor den Applaus hat der Rhetorik-Gott den Beginn einer Rede gesetzt. Je nach Größe der Veranstaltung markiert durch einen Gong oder Glasgeklingel, Schritte zum Podium oder die Mikrofon-Übergabe. Oft folgt das Klopfen gegen das Mikrofon, Blick in die erwartungsvollen Gesichter, gerne noch die Frage: Hören Sie mich? Das Publikum reagiert mit vereinzelten Ja-Rufen, Unruhe, die sich wieder legt. Stille. Und in neun von zehn Fällen fallen dann Sätze wie diese:
„Ich will Sie nicht langweilen, aber ich will doch noch ein paar Worte sagen, bevor ….“
„Keine Angst, mein Manuskript umfasst auch nur 50 Seiten. Hahaha …“
„Unsere Kommunikationsverantwortliche hat mich leider dazu verdonnert, eine kleine Rede zu halten …“
Tja. Da steht also die Heldin des Augenblicks, der erfolgreiche Bereichsleiter, der gefürchtete CEO und macht sich vor großem Publikum gaaanz klein, beschwichtigt die Erwartungen wie ein Prüfling die Jury.
Die Spannung des Publikums für sich nutzen
Genau damit zerstört aber jeder Redner die wertvolle Spannung, verspielt die kostbare Aufmerksamkeit, die ihm oder ihr geschenkt wird. Soll das Publikum tatsächlich denken: „Okay, dann höre ich eben nur halb hin, geht ja glücklicherweise schnell vorbei.“ Oder „Der arme Kerl, wird zu etwas gezwungen, was er gar nicht will“ ?
Natürlich nicht. Im Gegenteil. Die Spannung sollte vielmehr hochgehalten und genutzt werden! Für einen eindrucksvollen Start in eine eindrucksvolle Rede.
Aber genau daran scheitern auch die geübtesten Redner:innen immer wieder. Weil sie unterschätzen, wie einschüchternd die Erwartungshaltung der Zuhörer und Zuhörerinnen wirken kann und wieviel Überwindung es kostet, in die große Stille – womöglich mit einer fremd klingenden Mikrofonstimme – hineinsprechen zu müssen.
Darum flüchten sie sich in Floskeln wie „Ich will mich auch ganz kurz halten …“ , die natürlich nicht der Information dienen (und sowieso niemand glaubt), sondern einzig dazu da sind, die eigene Verunsicherung zu überspielen und sich selbst noch ein wenig zu beruhigen vor dem „eigentlichen“ Auftritt.
Dafür ist es dann aber zu spät, der Auftritt hat längst begonnen. Und kein Publikum wird jemandem seine volle Aufmerksamkeit schenken, der sie angeblich gar nicht wirklich will.
Vorbereitung ist der bessere Nervositäts-Killer
Daher, liebe (Weihnachts)rednerinnen und -redner, nehmt den ersten Satz einer Rede wirklich ernst und missbraucht ihn nicht zur Selbst-Beruhigung. Sondern bereitet euch bewusst auf einen souveränden Rede-Auftakt vor:
- Informiert euch vorher, wieviele Zuhörerinnen und Zuhörer ihr haben werdet und macht euch bildlich klar, wieviel zehn, fünfzig, hundert, mehrere Hundert Personen sind. Das gilt auch, wenn ihr vorher schon in kleiner, lockerer Runde zusammengestanden habt. Denn gerade dann ist es ein Unterschied, wenn sich plötzlich alle Augenpaare nur auf euch richten.
- Checkt auch die Technik vorher und nicht vor eurem Publikum. Das wirkt nämlich auch unprofessionell und ist ein Desaster, wenn die Technik tatsächlich nicht funktioniert.
- Stellt euch ganz bewusst hin, Gewicht auf beide Beine, fühlt eure Stabilität, atmet ruhig ein und vor allem aus.
- Dem einen hilft es, sich auf ein freundlich schauendes Gesicht im Publikum zu konzentrieren, der anderen, einfach über das Publikum in den Raum zu schauen. Ist beides gut. Probiert es aus, was bei euch die Nervosität am besten lindert.
- Braucht ihr noch Zeit, nehmt einen Schluck aus dem Wasserglas, stippt imaginäre Fussel vom Ärmel, schaut ins Publikum – aber bitte bitte sagt nichts! Auch nicht geflüstert zu den Umherstehenden.
Und dann, wenn ihr euch bereit fühlt, beginnt ihr mit dem ersten Satz eurer Rede. Einem Satz, den ihr euch genau überlegt habt, den ihr im besten Fall sogar vorher geübt habt. Einem Satz, der überraschend, originell, emotional, nachdenklich, aggressiv, komisch oder noch ganz anders sein kann. Der aber in jedem Fall sitzt und die Aufmerksamkeit eures Publikums sofort fesselt.